Null Punkte: Kein Gewinn. Keine Anerkennung. Keine Ehre. 0 Points. Die Einladungskarte der Ausstellung “Good / Bad / Other” von Alexandra Gaul könnte als Überschrift für ein fatalistisches Arrangement in den Räumen des Kunstvereins Junge Kunst. e. V. verstanden werden. Aber das Layout der Karte verweist vielmehr auf eine grundsätzliche gesellschaftliche Konstitution, die alles und jeden bewertet und jede Handlung, Idee, Position und Person unter der Perspektive eines Wettkampfes beurteilt. Dabei sein und gewinnen. Besser sein und noch mehr gewinnen. Die Beste sein und alles bekommen ist das prägende Motto einer leistungsorientierten Gesellschaft. Das Leben, schön säuberlich eingeteilt in Beruf, Freizeit, Liebe, Sex, Sport, Medizin, Kunst oder Wissenschaft, ist in dieser Lesart ein einziges Ranking unterschiedlicher Disziplinen. Die Jury hebt anerkennend den Daumen oder rümpft empört die Nase und lässt die Probanden durchfallen. Null Punkte: Nicht bestanden! Aber neben den schematischen Zuordnungen von falsch oder richtig, gut oder schlecht, gibt es immer auch noch andere Kategorien der Beurteilung und die Möglichkeit, die Dinge grundsätzlich anders zu machen und sich dabei nicht auf eine einfache Gewinn-und-Verlust- Rechnung einzulassen.
Alexandra Gaul arbeitet mit Worten, Skulpturen, Installationen, Zeichnungen oder Fotografien. Die Wolfsburger Ausstellung ist eine komplexe Gesamtinstallation, die zeigt, wie profund Gaul verschiedene Materialien wie Holz, Gold, Keramik oder Stoff zu eigenwilligen Collagen, Miniaturen oder raumgreifenden Installationen ausarbeitet. Immer wieder schreibt sie den Objekten eine persönliche Note oder Widmung ein und hebelt die saturierte Logik von Binsenweisheiten souverän aus. Sie schafft es, durch eine sprachliche oder bildliche Drehung neue (Sinn-)Zusammenhänge sichtbar zu machen. Die Unausweichlichkeit des Wettkampfes macht selbst vor der Friedhofsruhe nicht halt. Auf einem der von ihr für die Ausstellung angefertigten Grabsteine steht die absurde Inschrift: Ich bin schon viel länger hier als du! Hauptsache gewinnen, selbst wenn man mit dem Leben dafür bezahlt. Diese krasse Behauptung changiert zwischen schwarzem Humor und
existenzieller Unausweichlichkeit. Geld, Gold, Besitz: mehr ist mehr und deshalb ist auch die Größe des Goldklumpens, den die Künstlerin in einer früheren Arbeit in einer Vitrine ausstellt, gleich mit der Gravur “Size does matter” (2010) versehen. Dass die Größe entscheidet ist eine allgegenwärtige obszöne Forderung. Ein Teil der Arbeiten von Alexandra Gaul funktioniert genau so: direkt und unverblümt, aber in ihrer scheinbar einfachen Verdoppelungsstrategie von Bedeutung dennoch frappierend.
Andere Arbeiten von Alexandra Gaul zeigen eine fragile, stille und anrührende Welt. Eine Welt voller Zärtlichkeit und Vergänglichkeit. Die Künstlerin schafft Figuren, die in ihrer amorphen Erscheinung miteinander zu verschmelzen scheinen, die ineinander aufgehen, die sich halten, tragen und den anderen vorurteilslos annehmen. Diese Momente werden überführt in einen größeren gesellschaftlichen Kontext. Immer wieder geht es in ihren Arbeiten um Anerkennung. In engen und intimen Beziehungen, aber auch aus der soziologischen Sicht des sozialen Rollenspiels. Eine zentrale Arbeit der Ausstellung zeigt kleine schwarze Keramikfiguren, die in einer Holzkiste eingesperrt und auf Geld gebettet sind. Ausgestreckt und entspannt, den Mammon anbetend oder das Geld zählend, sind die Figuren ausschließlich mit dem Huldigen des fiktiven und wandelbaren Wertes verschiedener Währungen beschäftigt.
Wie wird man, was man ist, und wer hat das Recht, ein Urteil darüber zu fällen? Gibt es so etwas wie eine wertfreie Analyse? Die (Grund-)Sätze, die Gaul auf MDF-Platten geschrieben hat und in der Ausstellung zeigt, stammen unter anderen aus einer psychologischen Studie und bilden das ganze Panorama gesellschaftlicher Stereotype ab. Meinungen, Auffassungen, Regeln, Grundsätze, Richtlinien, Empfehlungen oder Einschätzungen. In der Arbeit wird deutlich, dass das vermeintlich eigene Regelwerk des Lebens nichts anderes ist, als ein Kompendium von Normen und Standards, die andere für uns gedacht und durchgesetzt haben. In diesem Sinne muss man die Arbeit “Haben und Dürfen” (2013) als Akt der Befreiung, als grundsätzlichen und jugendlichen Widerspruch verstehen. Die Dinge anders machen, nicht abhängig sein, die Sache (welche auch immer!) selbst in die Hand nehmen. Eine Art Credo von denen, die sich nicht abfinden wollen mit den betonierten Auffassungen, Bestimmungen und Herleitungen, die die etablierten Institutionen anbieten.
Das spannungsvolle Verhältnis zwischen Ordnung und Unordnung kommt auch in einem kleinen Textfragment, in der von Alexandra Gaul in Wolfsburg erstmals gezeigten titelgebenden Wandarbeit “Good, Bad, Other” (2015) deutlich zum Ausdruck. Die einen wollen in der Zeitung lesen, was in der Welt nicht in Ordnung ist. Die anderen wollen lesen, was in Ordnung ist und kaufen daher nicht die fatalistische Tagespresse, sondern das Boulevardmagazin “Bunte”. So heißt es sinngemäß auf einem Zettel, der als Teil einer Vielzahl von Fotos, Postkarten, Wandtellern oder Zeitungsausschnitten in der Ausstellung gezeigt wird. Alexandra Gauls vielschichtige Arbeiten funktionieren nicht als überdeutliche Kritik oder Absage an den gesellschaftlichen Konsens. Ihre Kunst ist feiner, verständiger, zugewandter, leichter und absurder als die normierten Formen der so genannten Gesellschaftskritik. Alexandra Gaul zeigt in ihrer aktuellen Ausstellung, dass neben der bipolaren Weltsicht der vermeintlichen Analysten, Erklärer und Bestimmer eine weitaus dezidiertere Formensprache und Materialauffassung, eine zärtlichere Erzählweise, ein intelligenterer Witz und mehr Freiheit in der Kunst existieren. Jenseits aller Stereotype.